Impressionen zur Vernissage "Was Menschen berührt"

Ein Text von Vivien Rathjen

Da kann man richtig stolz sein, was die Mitglieder des Paul Klinger Künstersozialswerks auf die Beine gestellt haben und das in „Coronazeiten“ unter dem Druck der Hygiene- und Abstandsauflagen. Unter dem Motto „Was Menschen berührt“ zeigt der Verein 79 Werke von 42 Künstlern aus ganz Deutschland in den Räumen des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales unter der Schirmherrschaft der neuen Staatsministerin Carolina Trautner. Es ist die erste Ausstellung, die der Verein für seine Künstlermitglieder organisiert. Normalerweise kümmert er sich um die eher lebenspraktischen Probleme, die Künstler aller Sparten von Musikern, Schauspielern, Schriftstellern und Sängern in ihrem Leben begegnen. Und das schon seit über 45 Jahren. 

Gegründet wurde der Verein von den beiden Künstlern Trude Haefelin und Jürgen Scheller 1974 unter dem Eindruck der Lebensphilosophie des befreundeten Schauspielers Paul Klinger. Dieser war der Meinung, dass Künstler zusammenarbeiten und sich in unterschiedlichen Lebenslagen unterstützen sollen. Inzwischen zählt der Verein gut 1200 Mitglieder in ganz Deutschland und bietet Beratung zu verschiedenen sozialen, bürokratischen und Vorsorge-Themen, darunter die Künstlersozialkasse, Förderungs- und Weiterbildungsmaßnahmen und Rechtsberatung. Die Ausstellung ist nun eine gute Gelegenheit, den Austausch zwischen den Bildenden Künstlern zu fördern. 

Insofern wundert es nicht, dass sich viele Künstler auch zur Vernissage am 17. September 2020 in den Räumen des Staatsministeriums in der Winzererstraße einfanden und in der großen Kantine den Begrüßungsreden lauschte. Den Anfang macht Vorstandsmitglied Peder W. Strux, den viele aus seiner Radiosendung „Künstlerfragen“ kennen, in der Strux Künstlerkollegen zu ihrer Arbeit befragt. In fein geschliffenen Worten bedankte sich Strux bei dem Ministerium und allen Mithelfern, darunter die Geschäftsführerin Ute Belting, Mitglieder wie Henny Schlüter und Marion Kausche für das Gelingen der Ausstellung. So ein Mammutprojekt lässt sich nicht allein auf die Beine stellen. Ihm folgte der dynamische Amtschef des Ministeriums, Dr. Markus Gruber, der für seine Chefin Carolina Trautner eingesprungen war, die sich leider entschuldigen musste. Gruber hatte die Zeit vor der Eröffnung genutzt, um sich ausgiebig in der Ausstellung umzuschauen, und gleich mehrere Kunstwerke gefunden, die ihm gefallen. So berührte ihn das Werk „Heart – oder die Kunst abzugeben“ der Kölnerin Mechthild Lohmanns. In der schwungvollen Tuschezeichnung stellt die Künstlerin ein Paar dar, das sich gegenseitig stützt. Gruber freute sich, dass Lohmanns hier ein schönes Bild für den zwischenmenschlichen Zusammenhalt gefunden hatte. Des Weiteren fühlte sich der Amtschef stark von der imposanten Marmorskulptur „Esperanza“ des Münchner Bildhauers Wolfgang Gottschalk berührt. Der Künstler hatte aus dem Stein einen Schiffskörper geformt, der gerade von Wellen zum Kentern gebracht wurde. In seinem Inneren befinden sich Kleinigkeiten, die man einem Kind mitgeben würde, wie Schnuller und Kleidungstücke. Gottschalk möchte mit seinem Werk den Bootflüchtlingen ein Denkmal setzen, die trotz schwieriger Aussichten die gefahrvolle Reise antreten und dafür sogar ihr kostbarstes Gut – ihre Kinder – riskieren. 

Den Abschluss des Rede-Reigens bildete Vivien Rathjen, Kunsthistorikerin und Jurymitglied, und beleuchtete die mehr künstlerische Seite der Ausstellung. Kein einfaches Unterfangen bei so vielen unterschiedlichen Positionen und Techniken; denn von Öl- und Acrylgemälden, Zeichnungen, Fotografien und Skulpturen, waren auch viele Werke vertreten in denen Künstler ihre ganz eigene Technik erfanden. Dazu gehören etwa die Arbeiten von Reiner Bollmann, der mit Pigmenten auf Zellulose arbeitet oder die Künstlerin Ines Seidel, die aus Zeitungspapier, Wachs und Fäden zarte Gespinste entwickelt. Dass es eine vielfältige Ausstellung würde, deren Bandbreite von figürlichen bis abstrakten Farbspielen reicht, war den Jurymitgliedern schon bei ihrer ersten Sitzung klar. Unterstützt wurden sie übrigens von zwei Mitgliedern des Staatsministeriums, Maximilian Weiderer und Susanne Hartinger, die ihre anfängliche Schüchternheit ablegten und hinterher kräftig mitdiskutierten, wenn es um die Umsetzung des Themas „Was Menschen berührt“ ging. Denn obwohl das Wort Berührung definitiv die haptische Fähigkeit des Menschen betrifft, geht es in der Ausstellung nicht darum, die Kunstwerke anzufassen, sondern sich emotional ergreifen zu lassen. Dazu hatte die Kunsthistorikerin sechs Bereiche herausgearbeitet, mit deren Hilfe die Besucher selbst einordnen konnten, in welchem Lebensbereich ein Kunstwerk sie gerade emotional ansprach. Dazu gehörten die Bereiche „Zwischenmenschliches“, „Mensch und Natur“ sowie „Gesellschaft und Politik“ und Werke, die sich mit der eigenen Gefühls- und Denkwelt auseinandersetzen und – last but not least – die einfach nur Vergnügen bereiten. 

Wie dieses „Sich berühren lassen“ aussehen könnte, zeigte die Schauspielerin und Tänzerin Monika Herzing in ihrer Performance, die den Reden folgte. In mehreren Stationen nahm die Tänzerin das Publikum mit auf eine Reise durch die Ausstellung, bei der sie ausgesuchte Werke tänzerisch interpretierte. Sie begann, mit einem Schöpfungsakt vor dem „Weltei“ der Bildhauerin Barbara Oppenrieder und nutzte dabei die idyllische Gartenszenerie des kleinen Innenhofes. Nach einer schönen Szene zum Thema „Zwischenmenschliches“ vor den Werken von Oleg Bogomolov und Ricarda Blank, folgte ein kleines Intermezzo im Bereich „Mensch und Natur“ vor dem Gemälde Erika Huslig-Haupt und eine laszive Hommage an Marilyn Monroe vor dem Werk der Künstlerin Susanne Pirkelbauer. Die Karikatur von Erik Liebermann nutzte Herzing um schon einmal das „Probeliege“ zu üben. Ihr Performance beendete Herzing dann mit einer unbeschwerten Note, inspiriert durch das Werk und die Lebenseinstellung des Künstlers Dieter de Harju: hinter der geschlossenen Glastür schnitt die Tänzerin dem Publikum lustige Fratzen, wie es kein dreijähriger Bengel besser könnte. Ein fast vergessenes Talent in Zeiten der umfassenden Maskenpflicht.

Nach soviel Eindrücken und Anregungen nutzten die Gäste den restlichen Abend für ausführliche Gespräche bei gutem Wein und leckeren Häppchen, die vom netten Cateringpersonal gereicht wurden. Mit viel Abstand und entsprechend ungestört schlenderte man von Werk zu Werk und ließ die schönen Arbeiten auf sich wirken. Nebenher wurden Bekanntschaften geschlossen, denn obwohl viele Künstler schon seit Jahren Mitglied im Paul-Klinger-Künstlersozialwerk e.V. sind, gibt es nicht so oft Gelegenheit zum persönlichen Austausch.

Eigentlicher Star des Abends war übrigens nicht die Kunst oder die Künstler, sondern ein kleiner roter Punkt. Dieser wird normalerweise auf das Namensschildchen neben dem Kunstwerk geklebt, wenn sich ein Käufer gefunden hat. Es war sehr erfreulich zu sehen, dass bereits einige Kunstwerke einen neuen Besitzer gefunden hatten; denn von der Kunst allein kann kein Künstler leben, wie man so schön sagt. Der Punkt ist für Künstler ein bittersüßer Anblick: einerseits beweist er, dass jemand das Werk so schön fand, dass er es mit nach Hause nehmen möchte; andererseits heißt es auch Abschiednehmen und das ist immer auch mit Trennungsschmerz verbunden. Nicht umsonst sprechen viele Künstler von ihren Werken als „ihre Kinder“. Und wer wird nicht ein bisschen emotional, wenn die Kinder endgültig das Haus verlassen? Ein echt berührender Moment an einem sehr berührenden Abend – trotz Abstandsregeln.

Ausstellungsort:
Bayerisches Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales,
Winzererstr. 9, 80797 München

Ausstellungsdauer:
18. September 2020 bis 30. Januar 2021

Kontaktiere uns:
089 – 57 00 48 95
www.paul-klinger-ksw.de

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